Beweisrecht
Alternativkommentar ZPO
§ 286 Randnummer 25

Lösungsalternativen: Der in Haftpflichtprozessen bei Kausalitäts- und Pflichtwidrigkeitsfragen vom Geschädigten nicht zu verantwortenden, weil nicht zu verhindernden Beweisnot hat die Rechtsprechung auch anders als durch die Anwendung der Grundsätze des Anscheinsbeweises Rechnung getragen. Sie hat einmal den Anwendungsbereich des § 287 ZPO ausgedehnt und zum anderen zur Beweislastumkehr gegriffen (vor § 284 RN 19). Die erste Möglichkeit ist der des Anscheinsbeweises äquivalent; die zweite geht in ihrer Risikoverlagerung über den Anscheinsbeweis hinaus und schafft, wo die Beweislastumkehr die Pflichtwidrigkeit betrifft, verkappte Gefährdungshaftungstatbestände. In welchem Grade sich allerdings das Risiko des Anspruchsgegners bei einer Beweislastumkehr gegenüber der Anwendung des § 287 ZPO oder des Anscheinsbeweises tatsächlich verstärkt, ist bei der Flexibilität der Überzeugungsbildung in den Grenzen der Denk- und Erfahrungsgesetze eine offene Frage. Die analytisch klare Trennung zwischen der Beweislast, der Beweiswürdigung und dem Beweismaß verflüchtigt sich in der praktischen Konfliktbewältigung, in der man schützenswerten Belangen auf dem einen wie dem anderen Weg zum Durchbruch verhelfen kann. Nicht von ungefähr sind die Regeln des Anscheinsbeweises zunächst als Beweislast- und erst später als Beweiswürdigungsregeln aufgefaßt worden (vgl. RGZ 21, 104; 69, 432; 134, 237). Wenn man sie heute überhaupt aus dem Beweisrecht herausnehmen und stattdessen in die materiellrechtlichen Haftungstatbestände Wahrscheinlichkeitsvoraussetzungen hineinlesen will ( Greger S. 177 ff. und VersR 1980, 1091, 1101 ff.), so bietet man nur einen weiteren Weg zur funktional äquivalenten Lösung eines in unausweichlicher Beweisnot gründenden Problems.


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Gesetzestext