Beweisrecht
Alternativkommentar ZPO
§ 286 Randnummer 13

Auswertung mehrerer Indizien: Wie man für die Errechnung einer Vaterschaftsplausibilität nicht nur ein Blutmerkmal, sondern eine Vielzahl von Blutmerkmalen auswertet, so ist auch die gewöhnliche Beweissituation dadurch gekennzeichnet, daß mehrere Indizien festgestellt werden, die sich wie ein Ring um das gesuchte Merkmal legen. Bender/Nack (RN 403, 407) haben hierfür den treffenden Ausdruck Beweisring geprägt. Die Frage ist, ob es ein Verfahren gibt, das zu einer verläßlichen Einschätzung der Gesamtstärke eines Beweisrings führt, wenn man lediglich Informationen über den Zusammenhang der je einzelnen Indizien zum gesuchten Merkmal hat. Diese Frage ist schon oben (RN 9) im Zusammenhang mit dem statistischen Syllogismus aufgeworfen und verneint worden (für den Fall, daß mehrere Zeugen unabhängig voneinander von einem Ereignis berichten vgl. vor § 373 RN 77 ff.). Das sog. Mehrdeutigkeitsproblem statistischer Systematisierungen läßt sich nicht mit einer mathematischen Formel, einem Denkgesetz, sondern nur mit einem Zuwachs an empirischem Wissen, mit neuen Erfahrungssätzen, lösen. Man braucht im statistischen Bereich Erfahrungssätze mit der fallrelevanten Indizienkombination in der Wenn-Komponente und dem gesuchten Merkmal in der Dann-Komponente. Unter einer ganz besonderen Bedingung vermittelt allerdings das Bayestheorem, mithin doch ein Denkgesetz, genau dieses Zusatzwissen. Die besondere Bedingung ist die Unabhängigkeit der in Rede stehenden Indizien untereinander. Wenn man Grund hat zu der Annahme, daß das Auftreten des einen Indizes den statistischen Zusammenhang des anderen Indizes mit dem gesuchten Ereignis und dessen Komplementereignis nicht stört (Unabhängigkeit der Indizien), dann dürfen die für die einzelnen Indizien ermittelten abstrakten Beweiswerte durch eine mehrfach hintereinandergeschaltete Anwendung des Bayestheorems zur Einschätzung der Gesamtstärke des Beweisrings ausgewertet werden. Das Ergebnis ist ein korrekter statistischer Erfahrungssatz mit der Indizkombination als Wenn-Komponente und dem gesuchten Ereignis als Dann-Komponente. Er ermöglicht sodann den Einsatz der Einzelfallregel. Die Formel, mit der bei Unabhängigkeit der Indizien untereinander die Stärke des Beweisrings und schließlich die Endwahrscheinlichkeit errechnet werden kann, lautet:


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Gesetzestext