Beweisrecht
Alternativkommentar ZPO
§ 286 Randnummer 12

In dieser Formel findet man nicht mehr die abstrakte Beweiskraft in ihrer ursprünglichen Gestalt, sondern den Kehrwert y/x der abstrakten Beweiskraft. Zugleich fällt auf, daß ohne den Quotienten 1-u/u es gerade um die Formel geht, mit der in Vaterschaftsprozessen Vaterschaftswahrscheinlichkeiten ermittelt werden (vgl. Palandt/Diedrichsen Einführung vor § 1591 BGB Anm. 3 d). Der Wegfall des Quotienten 1-u/u ist mathematisch nur gerechtfertigt, wenn sein Wert 1 beträgt, und das ist bei u = 0,5 der Fall. Ob die Annahme von u = 0,5 und damit die Annahme der Gleichwahrscheinlichkeit des gesuchten Ereignisses und seiner Negation gerechtfertigt ist, ist an sich eine empirische Frage. In Vaterschaftsprozessen ist die Gleichwahrscheinlichkeit als Ausgangswahrscheinlichkeit für Vaterschaft und Nichtvaterschaft vor der Auswertung von Biostatistiken vom Bundesgesundheitsamt normiert worden. Mit dieser Normierung führt jedes Blutmerkmal mit einer abstrakten Beweiskraft über 1 zu einer 0,5 (oder 50 %) übersteigenden Endwahrscheinlichkeit w. Ohne eine solche Normierung ist das nur dann er Fall, wenn 1-u/u kleiner als der abstrakte Beweiswert des ermittelten Indizes ist. Bei u = 0,5 und x = 0,04 und y = 0,01 (abstrakte Beweiskraft 4) beträgt w = 0,8. Bei u = 0,1 kommt dagegen eine Endwahrscheinlichkeit von 0,3077 und bei u = 0,9 eine Endwahrscheinlichkeit von 0,973 heraus. Man sieht, daß hier eine enorme Abhängigkeit der Endwahrscheinlichkeit von der Ursprungswahrscheinlichkeit besteht bei gleichbleibender abstrakter Beweiskraft des ausgewerteten Indizes. Kennt man erst einmal den mathematischen Zusammenhang, auf den Gutachterangaben zu Vaterschaftsplausibilitäten aufgebaut sind, lassen sich für jeden Praktiker leicht Kontrollrechnungen zu den Plausibilitäten bei veränderter Ursprungswahrscheinlichkeit durchführen: Hat man den w-Wert des Gutachters, so ergibt (1/w) - 1 den Wert für y/x, und mit diesem Wert läßt sich unter Verwendung der oben angegebenen Formel (RN 11 ) für jede beliebige Annahme von u die Vaterschaftsplausibilität errechnen.


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Gesetzestext