Beweisrecht
Alternativkommentar ZPO
vor § 445 Randnummer 3

Das Problem besteht darin, die Parteianhörung von der Parteivernehmung abzugrenzen (vgl. dazu eingehend Polyzogopoulos S. 118 ff.). Im Glasperlenspiel der Dogmatik läßt sich das noch einigermaßen klar bewerkstelligen. Die Parteianhörung dient der Klärung und der Vervollständigung des Parteivortrags. Sie übt eine Hilfsfunktion im Rahmen des § 139 aus. Die Parteivernehmung soll dagegen dem Beweise umstrittener Parteibehauptungen nach Klärung und Vervollständigung des Parteivortrags dienen. In der Alltagspraxis (vgl. dazu kritisch Brehm S. 234 ff.) verflüchtigt sich dagegen die dogmatisch klare Abgrenzung. Selbstverständlich enthalten die Informationen, welche das Gericht bei der Parteianhörung erfährt, sowohl Ergänzungen und Klarstellungen des Parteivortrags als auch Gesichtspunkte, die für die Würdigung umstrittener Parteibehauptungen bedeutsam sind. Daß die letzteren auch ohne Parteivernehmung bei der Würdigung nach § 286 nicht nur verwertet werden dürfen, sondern verwertet werden müssen, zeigt die in § 286 angeordnete Verhandlungswürdigung (a.A. Polyzogopoulos S. 111 ff.; dagegen mit Recht Kollhosser ZZP 91 (1978), 102, 104; differenzierend Brehm S. 245 ff.; siehe auch RN 5 ). Warum auf eine so gewonnene Informationsgrundlage die formelle Parteivernehmung mit all ihren Einschränkungen gesetzt werden soll, läßt sich jedenfalls unter dem Gesichtspunkt der Informationsgewinnung nicht mehr nachvollziehen. Die Informationen, über die die Parteien verfügen, hat das Gericht ja schon ohne jede Beschränkung im Rahmen der Parteianhörung erhalten. Es würde in der förmlichen Parteivernehmung nur dann etwas anderes oder Zusätzliches erfahren, wenn eine lügende oder zurückhaltende Partei sich durch den symbolischen Akt der förmlichen Vernehmung mit Belehrung und eventueller Beeidigung in ihrem Verhalten beeinflussen ließe. Daran mag man glauben oder auch nicht. Tut man es nicht, so ist die förmliche Parteivernehmung des Gegners einschließlich der möglichen Beeidigung für die beweisbelastete Partei lediglich das letzte und regelmäßig untaugliche Mittel, den drohenden Prozeßverlust von sich abzuwenden, und für das Gericht ein Schlupfloch aus den Schwierigkeiten der an keine Rechtsregeln gebundenen Verhandlungswürdigung. Denn mit Eid gewinnt in praxi die formelle Parteivernehmung trotz verbaler Beteuerung des Würdigungsermessens die Qualität einer formellen Beweisregel (vgl. auch § 452 RN 1). Glaubt man dagegen an die Steuerungskraft symbolischer Rituale, so gibt dieser Glaube doch keine Rechtfertigung für die vielfältigen Einschränkungen, die das Gesetz der Parteivernehmung auferlegt. Man braucht weder Beweislastregeln noch Subsidiaritätsprinzip, um schon im Rahmen der umfassenden einleitenden Parteianhörung die für die Sachverhaltsrekonstruktion wichtigen Informationen welcher Partei auch immer zu protokollieren und gegebenenfalls beeidigen zu lassen.


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