Beweisrecht
Alternativkommentar ZPO
vor § 284 Randnummer 18

Die in den Motiven angesprochene weitere Grundregel gewährt ganz offensichtlich keine klare Entscheidungsregel. Um diese Regel im Streitfall anzuwenden, müßte man wissen, wie man die Norm bildet, die einen Anspruch begründet. Da unstreitig zu den anspruchsbegründenden Voraussetzungen auch negative Voraussetzungen (§ 812 BGB ,,ohne rechtlichen Grund") gehören können, auch solche, die in einem anderen Satz (z. B. das Fehlen der anderweitigen Ersatzmöglichkeit in § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB; vgl. BGH NJW 1962, 1862), Absatz oder Paragraphen stehen (RoSchwab § 118 II 2; StJ/Schumann/Leipold § 286 RN 59 ff.), gibt es dafür jedenfalls kein allein mit den Mitteln der formalen Logik zu bewältigendes Bildungsprinzip. Man könnte daran denken, auf die materiell-rechtlichen Differenzierungen zwischen rechtsbegründenden Tatsachen einerseits rechtsaufhebenden und rechtshindernden Tatsachen andererseits zurückzugreifen, müßte jedoch bei näherem Zusehen feststellen, daß es jedenfalls im Hinblick auf die Abgrenzung zwischen negativen Anspruchsvoraussetzungen und rechtshindernden Tatsachen gerade die Beweislastverteilung ist, welche eine Tatsache in die eine oder andere dieser Kategorien fallen läßt (Musielak JuS 1983, 198, 202, StJ/Schumann/Leipold § 286 RN 44; dunkel in diesem Punkt RoSchwab § 105 II 2 a). Wenn man nicht die Beweislastverteilung durch die Beweislastverteilung und damit gar nicht begründen will, müßte man sich nach anderen Gründen für die Zuteilung von Beweisrisiken umsehen. Die sind indessen so vielfältig, daß ein allgemeines Prinzip dabei nicht mehr herausspringt (vgl. Prütting S. 179 ff. mit einer Zusammenstellung der Sachgründe S. 257 ff.) Prüttings Grundregel ist da schon leichter zu handhaben, weil für ihre Handhabung die Abgrenzung zwischen den negativen Voraussetzungen der anspruchsbegründenden Normen von den positiven Voraussetzungen anspruchshindernder Normen keine Rolle spielt. Das Abgrenzungsproblem wird dadurch aber nicht aufgehoben, sondern nur aufgeschoben. Die Verteilung nach Prüttings Grundregel ist ja nicht die endgültige Verteilung. Sie steht vielmehr unter dem Vorbehalt anderweitiger Verteilung und das diesseits wie jenseits der durch die zeitliche Zäsur gezogenen Grenze. Der Anspruchsgegner kann mit dem Beweise von (auch negativen) Tatsachen bis zur Entstehung des Rechts und der Anspruchsteller mit dem Beweise von (auch negativen) Tatsachen nach der Entstehung des Rechts belastet sein. Nach welchen Kriterien aber soll man entscheiden, ob die Beweislast nach der Grundregel oder nach einer Ausnahme von der Grundregel verteilt ist? Prüttings Antwort (S. 282 ff.) ist ebenso einfach wie bestechend und beherzigenswert: Die Verteilung richtet sich nach dem Gesetz! Der Rechtsanwender ist aufgerufen, auch bei der Festlegung von Beweislastverteilungsregeln die Gesetzesbindung zu achten. Dabei kommt nicht nur eine Bindung an das vom Gesetzgeber Gesagte, sondern auch an das von ihm Gewollte in Betracht (vgl. Koch/Rüßmann § 17). Der Rechtsanwender muß das gesamte Spektrum der Auslegungs- und Rechtsfortbildungsmöglichkeiten (zu den letzteren Koch/Rüßmann §§ 21 ff.) abschreiten und darf nicht etwa bei der Satzbaulehre stehenbleiben und hernach Rechtsfindung nach Gutdünken betreiben (so auch Musielak JuS 1983, 198, 202 f.).


vorherige Randnummer nächste Randnummer