Beweisrecht
Alternativkommentar ZPO
vor § 284 Randnummer 17

Da über Beweislastregeln materielle Chancen und Risiken verteilt werden, ist in erster Linie der Gesetzgeber berufen, Beweislastverteilungsregeln festzulegen. Der Gesetzgeber hat jedoch nur wenige Beweislastfragen ausdrücklich geregelt (im BGB etwa §§ 179 Abs. 1, 282, 345, 358, 363, 442, 542 Abs. 3, 636 Abs. 2, 2336 Abs. 3), einige die Beweislast berührende Vermutungen in das Gesetz aufgenommen (im BGB etwa §§ 891, 1006, 1362) und im übrigen auf die ausdrückliche Normierung einer allgemeinen Beweislastverteilungsregel verzichtet, obwohl im Ersten Entwurf zum BGB als § 193 vorgesehen war: ,,Wer einen Anspruch geltend macht, hat die zur Begründung desselben erforderlichen Tatsachen zu beweisen. Wer die Aufhebung eines Anspruchs oder die Hemmung der Wirksamkeit desselben geltend macht, hat die Tatsachen zu beweisen, welche zur Begründung der Aufhebung oder Hemmung erforderlich sind." Die herrschende Meinung (RoSchwab § 118 II 2) und die Rechtsprechung gehen aber dennoch von der Geltung einer allgemeinen Beweislastregel des deutschen Rechts aus, "daß jede Partei die Beweislast für alle Voraussetzungen einer von ihr in Anspruch genommenen Norm trägt" (BGHZ 53, 245, 250). Die Auffassung findet auch Rückhalt in den Motiven zum BGB, wo es über die im Entwurf vorgesehene Regel hinausgehend heißt: ,,Wer einen Anspruch geltend macht, hat diejenigen Thatsachen anzuführen und zu beweisen, welche der Regel nach geeignet sind, den Schluß auf die Entstehung des erhobenen Anspruchs zu rechtfertigen. Es kann dem Kläger nicht angesonnen werden, neben dem Entstehen auch das Bestehen des Anspruchs zur Zeit der Geltendmachung darzuthun; ebensowenig liegt ihm ob, die Abwesenheit besonderer Thatsachen zu beweisen, die, wenn sie vorhanden wären, die dem Thatbestande an und für sich zukommende Wirkung ausschließen würden. Die Geltendmachung und der Beweis der rechtsaufhebenden und rechtshindernden Thatsachen ist ebenso Aufgabe der Gegenpartei, wie die Geltendmachung und der Beweis der Einredethatsachen im engeren Sinne" (Mot. I, 382). Damit scheint ein einerseits klares und andererseits sachlich angemessenes allgemeines Beweislastverteilungsprinzip gefunden. Doch der Schein trügt in beiderlei Hinsicht (vgl. die Kritik bei Bruns § 32 RN 169, 170; Grunsky Grundlagen, § 41 III 2 a; Gottwald Jura 1980, 229 ff.) Das ist letztlich auch das Ergebnis der Studie von Prütting, mag es dort auch heißen: ,,Die Beweislastgrundregel des § 193 Erster Entwurf zum BGB gilt im gesamten deutchen Recht mit Ausnahme des Strafrechts. Darüber hinaus hat diese Grundregel weltweite Geltung. Für das Zivilrecht und das Arbeitsvertragsrecht muß die Norm als Gesetzesrecht angesehen werden" (S. 281). Prütting schwebt dabei eine von den Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen negativen Anspruchsvoraussetzungen und Voraussetzungen rechtshindernder Normen befreite Grundregel vor. Entscheidend für die Grundregel ist dann allein die zeitliche Zäsur. Für die Zeit bis zum Entstehen des Rechts ist nach der Grundregel der Anspruchsteller gefordert, danach der Anspruchsgegner. Einer solchen Grundregel wird man in der Tat die Geltung nicht absprechen können und sich hernach über die Ausnahmen von der Grundregel, die Belastung eines Beteiligten mit dem Beweisrisiko für Tatsachen aus dem je anderen Bereich, unterhalten müssen.


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