Beweisrecht
Alternativkommentar ZPO
vor § 402 Randnummer 3

Betrachtet man die in einer Mischung der verschiedenen Einteilungsgesichtspunkte möglichen Kombinationen, so kommen für den Augenscheinsbeweis, den Zeugenbeweis und den Parteibeweis nur solche Sätze in Betracht, in denen einer vollständig überschaubaren Zahl von mit den menschlichen Sinnen identifizierbaren Gegenständen eine mit eben diesen Sinnen beobachtbare Eigenschaft zugeschrieben wird. Sobald ein Satz in auch nur einer Hinsicht diesen Rahmen sprengt, ist sein Gehalt von solcher Art, daß Zweifel am Zutreffen des Satzes im Beweisverfahren nur durch Sachverständigenbeweis ausgeräumt werden können (im beschränkten Maße auch durch Urkundenbeweis, wenn etwa Gutachten aus anderen Verfahren oder Privatgutachten in Rede stehen, vgl. § 402 RN 3). Das gilt mithin für alle analytischen Sätze, die qua Definition keinen beobachtbaren außersprachlichen Gehalt haben, aber bei Auslegungsfragen wichtig werden können sowie als Schluß- und Folgerungsregeln für die Beweiswürdigung außerordentlich bedeutsam und dabei keineswegs immer trivial sind (vgl. § 286 RN 4 ff.). Es gilt für alle synthetischen Sätze, die über mehr Gegenstände reden, als beobachtet worden sind, mögen auch die Gegenstände identifizierbar und die den Gegenständen zugeschriebenen Eigenschaften beobachtbar sein. Hier ist vor allem an empirische Generalisierungen (Erfahrungssätze) zu denken, die von deterministischer oder statistischer Struktur sein können. Es gilt auch für die Sätze, die einem einzelnen identifizierbaren Gegenstand eine nicht ohne weiteres beobachtbare Eigenschaft zuschreiben, sei es, weil man Meßgeräte benötigt, um die Eigenschaft festzustellen, sei es, weil man Wertzuschreibungen vornimmt, sei es schließlich, weil man aus einer Reihe von Symptomen unter Heranziehung von Gesetzesannahmen und Definitionen auf das Vorliegen einer bestimmten Eigenschaft schließt. Und es gilt schließlich in ganz besonderem Maße von wissenschaftlichen Theorien, die sich zwar in der Erfahrungswelt bewähren müssen, aber doch etwa im atomaren und subatomaren Bereich über Dinge reden, die man ohne komplizierte Meßapparaturen nicht identifizieren kann, und diesen Dingen Eigenschaften zusprechen, zu denen es ebenfalls keinen unmittelbaren Beobachtungszugang gibt. Auch Normen fallen aus dem vom Augenscheins-, Zeugen- und Parteibeweis erfaßbaren Bereich heraus, jedoch nicht, weil man Normen nicht auf empirische Annahmen reduzieren könnte. Dieses in der Theorie der Normenbegründung durchschlagende Argument (vgl. Koch/Rüßmann § 43 2) gilt für den Sachverständigenbeweis nicht. Wo ein Sachverständiger über Normen informieren soll, stellt sich die Frage, ob zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort eine Norm gilt oder gegolten hat. Und diese Frage kann mit ausschließlich beschreibenden Angaben beantwortet werden. Eine bewertende Stellungnahme, ob er die Norm befürworte oder ablehne, wird vom Sachverständigen dabei nicht verlangt.


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