Beweisrecht
Alternativkommentar ZPO
vor § 373 Randnummer 40

II. Gesteuerte Verfälschungen

Wenn man nach gesteuerten Verfälschungen (einschließlich der reinen Erfindung) eines Ereignisses in einer Zeugenbekundung fragt, bieten sich verschiedene Ansätze an, um eine Antwort auf die gestellte Frage zu bekommen. Der eine zielt darauf ab, die Persönlichkeit, den Charakter des Zeugen zu erkunden und in diesem Bild nach Anhaltspunkten dafür zu suchen, daß der Zeuge im allgemeinen wenig vertrauenswürdig und somit auch die konkrete Bekundung nicht glaubhaft ist. Der andere nimmt weniger auf die allgemeinen Charaktereigenschaften Rücksicht, sondern hebt auf mögliche Beweggründe dafür ab, daß der Zeuge bei der gerade zur Beurteilung anstehenden konkreten Bekundung nicht bei der Wahrheit geblieben ist. Man fragt dann etwa nach den vom Zeugen antizipierten Folgen seiner Bekundung (oder auch der unterlassenen Bekundung) und bewertet diese danach, ob sie für ihn oder andere Personen, mit denen er Verbindungen hat, Vorteile oder Nachteile bringen. Der erste Ansatz ist für die dem Richter aufgegebene Glaubwürdigkeitsbeurteilung viel zu grobschlächtig und nach dem heutigen Stand der Aussagepsychologie als alleiniges oder auch nur entscheidendes Bewertungskriterium hinreichend diskreditiert (vgl. Arntzen S. 3 ff.; Müller-Luckmann Psychologie XIV, S. 795 ff.). Er wurde hier nur angeführt, um etwa doch noch vorhandenen Vorurteilen entgegenzuwirken. Äußere Erscheinung, Herkommen, Beruf und gesellschaftliche Stellung sind ungeeignete Indikatoren für die Wahrhaftigkeit oder Unwahrhaftigkeit eines Zeugen bei einer konkreten Bekundung. Auch der Ehrenmann kommt einmal in die Lage zu lügen (möglicherweise gar aus ehrenhaften Gründen), wie der übel Beleumdete durchaus die Wahrheit sagen kann. Man muß sich also, wie dies beim zweiten Ansatz geschieht, auf die Umstände der konkreten Bekundung konzentrieren, darf allerdings bei der Erforschung der Motivlage allein nicht stehenbleiben, weil es ja durchaus sein kann, daß ein feststellbares Motiv zur Falschaussage tatsächlich nicht bis zur Falschaussage durchgeschlagen ist. Immerhin geben solche Motive Anlaß zu erhöhter Aufmerksamkeit, die sich dann auf Anhaltspunkte im Aussageverhalten des Zeugen und im Inhalt sowie in der Struktur der fertigen Aussage richten muß. Hierin liegt denn auch der in der Aussagepsychologie allgemein akzeptierte Schwerpunkt der Glaubwürdigkeitsbeurteilung einer Zeugenaussage.


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