Beweisrecht
Alternativkommentar ZPO
vor § 373 Randnummer 41

1. Aussagemotive

Die genaue Feststellung der Motive, die einen Zeugen bewegt haben, eine bestimmte Aussage zu machen, ist ein schwieriges Unterfangen. Es geht dabei ja um fremdseelische Vorgänge, die, soweit nicht der Zeuge selbst glaubhaft über sie berichtet, nur aus den äußeren Umständen erschlossen werden können. Die hier maßgebliche Leitfrage ist schon oben (RN 40) formuliert worden. Sie läßt sich in das folgende Fragenbündel auflösen: Welche Folgen seiner Aussage hat der Zeuge sich vorgestellt? Wie bewertet er diese Folgen für sich und für andere? Welche Einstellung hat der Zeuge gegenüber denjenigen, die von den vorgestellten positiven oder negativen Folgen betroffen sind? - Für eine nicht durch Motive verfälschte Aussage wäre es günstig, wenn dem Zeugen gar keine Zeit gelassen wäre, über die Folgen seiner Aussage nachzudenken, die Vernehmung also unmittelbar auf das Ereignis folgte oder doch wenigstens für den Zeugen überraschend käme. Diese wünschenswerte Konstellation läßt sich indessen für den zivilprozessualen Zeugenbeweis kaum realisieren. Spätestens vom Tage der Ladung an hat der Zeuge die Möglichkeit, sich Gedanken über die von ihm erwartete Aussage zu machen. Wenn ihm dann noch in der Ladung suggeriert wird, zu wessen Gunsten (Benennung des Beweisführers) er was (Benennung des Beweisthemas) mitbekommen haben soll (§ 377 Abs. 2), hat man die schlechteste Ausgangsposition für eine durch Vorüberlegungen unbeeinflußte Aussage gewonnen (vgl. auch § 359 RN 3).


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