Beweisrecht
Alternativkommentar ZPO
vor § 373 Randnummer 26

Zur physichen und psychischen Disposition des Zeugen zählen seine körperliche, seine geistige und seine motivationale Verfassung. Hinsichtlich der körperlichen Verfassung ist etwa zu achten auf Seh- und Hörstörungen und deren Ausgleich durch medizinisch-technische Hilfsmittel, auf Erschöpfung durch Müdigkeit, Alkohol- und Drogeneinfluß, Krankheit. Die Frage nach der geistigen Verfassung hebt auf den durch Beruf und Ausbildung geprägten Kenntnisstand ab, die nach der motivationalen Verfassung auf Einstellungen, Gefühle und Interessen des Zeugen (Wort-Experimente zur Wahrnehmungsmotivation bei Diedrichsen Wahrnehmungsmotivation und Zeugenaussage, 1972). Dabei sind die Beziehungen zwischen den einzelnen Faktoren und dem Ideal der realitätsgerechten Ereignisaufnahme durchaus nicht in dem Sinne linear geordnet, daß je stärker/schwächer eine Disposition bei dem Zeugen ausgebildet ist, desto besser/schlechter die Ereignisaufnahme ist. Zwar sieht der beruflich vorgebildete mehr als ein nicht entsprechend vorgebildeter Zeuge; zugleich unterliegt er aber auch stärker der Neigung, etwas nicht Gesehenes dem Wahrnehmungsbild aus dem Bereich seines Weltwissens hinzuzufügen. Auch fördern das Interesse und die gefühlsmäßige Beteiligung die Bereitschaft, ein Ereignis aufzunehmen; zum Affekt in Form von Angst- oder Furchtzuständen oder übermäßigen Wunsch- oder Begehrenszuständen gesteigert verzerren und verfälschen sie indessen das aufgenommene Bild.


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