Beweisrecht
Alternativkommentar ZPO
§ 372 Randnummer 2

Augenscheinsmittler: Der Bereich der richterlichen Augenscheinseinnahme wird verlassen, wenn der Sachverständige selbst - und sei es auch in Anwesenheit des Gerichts - die Wahrnehmungen vornimmt und dem Gericht über das Wahrgenommene berichtet. Dann führt der Sachverständige (oder auch ein anderer Dritter) eine Tätigkeit im Rahmen des Beweisverfahrens aus, für die es keine klare gesetzliche Grundlage gibt. Wenn es um Feststellungen geht, die ohnehin nur beim Vorhandensein besonderer Sachkunde getroffen werden können, kann man die Tätigkeit dem Sachverständigenbeweis zuschlagen und den für diesen geltenden Regeln unterwerfen. Das gilt auch für solche Feststellungen, die der Sachverständige als Anknüpfungspunkte für die im Gutachten auszuführenden Schlußfolgerungen benötigt. Hier ist jedoch im Streitfall die gerichtliche Augenscheinseinnahme anzuordnen, bei der allein die Wahrung der Parteirechte möglich ist (vgl. § 357 RN 3). Ist die besondere Sachkunde aber nicht Voraussetzung für die fragliche Feststellung und dient diese auch nicht als Anknüpfungspunkt für sachverständige Folgerungen, muß es schon wegen des Unmittelbarkeitsgrundsatzes (§ 355) Rechtfertigungen dafür geben, daß nicht das Gericht, sondern ein Dritter die Feststellung trifft. Solche Rechtfertigungen können darin liegen, daß die Wahrnehmung zwar ohne Fachkunde möglich wäre, der Zugang zum Wahrnehmungsobjekt aber Fähigkeiten erfordert (Tauchen, Bergsteigen), die das Gericht nicht hat. Auch die Rücksicht auf die Intimsphäre kann es gebieten, Leibesvisitationen durch Dritte, insbesondere Ärzte, vornehmen zu lassen. Die Dritten sind in diesen Fällen ,,gerufene Zeugen", die nicht zu der gewünschten Beobachtungstätigkeit gezwungen (dafür anders als normale Zeugen ausgetauscht) werden können, nach der Beobachtungstätigkeit allerdings wie jeder Zeuge dem Zeugniszwang (§ 390) unterliegen.


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Gesetzestext