Schuldner- und Gläubigermehrheiten
Alternativkommentar BGB
vor § 420 Randnummer 4

Das Schwergewicht des bis in das Gemeine Recht zurückverfolgbaren Streits liegt auf der Abgrenzung der Gesamtschuld von anderen Schuldnermehrheiten, die man auch als scheinbare oder unechte Gesamtschulden bezeichnet (vgl. Ehmann S. 28 ff.). Bei den scheinbaren oder unechten Gesamtschulden handelt es sich nicht um Schuldnermehrheiten, die dem Gläubiger über Mehrfachforde-rungen die Leistungskumulation gestatten, sondern um Schuldnermehrheiten, die wie die Gesamtschuld dadurch gekennzeichnet sind, daß jeder Schuldner »die ganze Leistung zu bewirken verpflichtet, der Gläubiger die Leistung aber nur einmal zu fordern berechtigt ist« (§ 421). Warum man sie dennoch nicht den Gesamtschuldregeln unterwerfen will, läßt sich an den Fällen verdeutlichen, die den unechten Gesamtschulden zugerechnet werden. In diesen Fällen treffen etwa Schadensersatzforderungen gegen Deliktsschuldner mit (auf die Befriedigung desselben Interesses gerichteten) Forderungen gegen Baulastträger (Fuldaer Dombrandfall RG 82, 214), Unterhaltsschuldner, Arbeitgeber (Lohnfortzahlung) und Versicherungen zusammen. Man ist sich einig darüber, daß (im Innenverhältnis) Letztverpflichteter dieser Schuldnermehrheiten der Delikts-schuldner sein soll. Man will also nicht, daß die Leistung des im Innenverhältnis letztlich nicht Verpflichteten den Letztverpflichteten befreit (§ 422) oder dieser einen Ausgleichsanspruch auf den gleichen Anteil gegen den letztlich nicht Verpflichteten erwirbt (§ 426 Abs. 1). „Die Angst vor den Rechtsfolgen der Gesamtschuld" (Ehmann S. 25 ff.) ist die treibende Kraft hinter den zahlreichen Abgrenzungsversuchen, die weder in der Zweckgemeinschaft (noch Kriterium der Rechtsprechung BGH 52,39; 59,97) noch in der Tilgungs- oder Erfüllungsgemeinschaft (Selb S. 25, 37 f.) noch in der Gleichstufigkeit (Larenz SchuldR AT § 37 I) ein befriedigendes Ergebnis gefunden haben. Die befürchteten Zwänge sind aber auch gar nicht gegeben. Die in § 422 angeordnete Erfüllungswirkung besagt nur, daß der Gläubiger, der die Leistung von einem der Schuldner erhalten hat, sie nicht ein zweites Mal von dem anderen Schuldner verlangen darf. Sie führt aber nicht ohne weiteres zum Erlöschen der Forderung. Diese geht nach § 426 Abs. 2 auf den Leistenden über, soweit er von dem anderen Schuldner Ausgleichung erlangen kann. Nur der Teil der Gläubigerforderung erlischt, der dem Anteil des Leistenden im Innenverhältnis entspricht. Ehmann bezeichnet dies treffend als das „kommunizierende System der §§ 422, 426 Abs. 2" (S. 102). Es wird beherrscht von der „soweit-Regel" des § 426 Abs. 1, nach der der Ausgleich jeden Wert von 0 bis 1 - vom Totalregreß bis zur Regreßversagung - annehmen kann.


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