Beweisrecht
Alternativkommentar ZPO
vor § 284 Randnummer 23

Die exakte Zielbestimmung für die Beweisbemühungen des Gerichts im Rahmen der Tatfrage enthält nicht auch zugleich eine Bestimmung der möglichen Gegenstände des Beweises überhaupt. ,,Gegenstand des Beweises sind in der Regel Tatsachen, zuweilen Erfahrungssätze, selten Rechtssätze" (RoSchwab § 116). Mit dieser korrekten Beschreibung - man sollte allerdings bei den Tatsachen präziser von Behauptungen sprechen, da nur Sätzen Wahrheit prädiziert werden kann (RoSchwab § 116 I 2) - ist quer zur Trennung von Tatfrage und Rechtsfrage fast das gesamte Spektrum der für eine juristische Einzelfallentscheidung erforderlichen Informationen angesprochen. Deren außerordentliche Vielfalt kann hier auch nicht annähernd ausgebreitet werden (vgl. dazu Koch/Rüßmann passim). Vergegenwärtigt man sich, daß die Informationen in Sätzen zugänglich gemacht werden, so läßt sich das Spektrum mit einigen geläufigen Unterscheidungen aus der Satzlehre (vgl. Prim/Tilmann Grundlagen einer kritisch-rationalen Sozialwissenschaft, 1973 S. 63 ff. und vor § 402 RN 2) wenigstens andeuten. Man kennt - grob getrennt - Sätze über Empirisches, Normatives und Sprachliches. Innerhalb der Sätze über Empirisches lassen sich unterscheiden singuläre (über ein konkretes, raumzeitlich begrenztes Ereignis) und allgemeine (über nomologische oder statistische, raum-zeitlich unbegrenzt gültige Zusammenhänge). Eine vergleichbare Unterscheidung läßt sich im normativen Bereich etwa zwischen konkreten Sollensurteilen und universellen Normen angeben. Als wichtiger aber könnte sich in diesem Felde die Differenzierung nach Normenarten erweisen: etwa nach Rechtsnormen, technischen Normen und Berufsnormen. Mit den Sätzen über Sprachliches sind Definitionen und Bedeutungsregeln angesprochen, die wir je nach der Art der betroffenen sprachlichen Zeichen wiederum grob in Regeln für logische und mathematische Zeichen (Denkgesetze!) einerseits und deskriptive Zeichen andererseits einteilen können. Da Sätze aller dieser Satzarten, wenn sie in einem konkreten Verfahren zur Begründung einer Einzelfallentscheidung herangezogen werden sollen, ihre Geltung aber in Zweifel gezogen wird, Gegenstand des Beweises sein können, ist die allgemeine Angabe darüber, was überhaupt Gegenstand des Beweises sein kann, nicht sonderlich hilfreich. Erhellender dürfte demgegenüber eine Einteilung fraglich gewordener Sätze in solche sein, über die sich das Gericht nur außerhalb des zivilprozessualen Beweisverfahrens schlüssig werden darf, und solche, zu denen nur im förmlichen Beweisverfahren Informationen eingeholt werden dürfen, und schließlich solche, über deren Geltung das Gericht sich sowohl außerhalb des förmlichen Beweisverfahrens als auch mit Mitteln des zivilprozessualen Beweisrechts Gewißheit verschaffen darf. Diese Einteilung liegt quer zur herkömmlichen Trennung von Rechtsfragen und Tatfragen.


vorherige Randnummer nächste Randnummer