Beweisrecht
Alternativkommentar ZPO
vor § 284 Randnummer 2

Eine formal korrekt begründete Entscheidung kann das Ziel der inhaltlich richtigen Entscheidung durch Fehler in jeder der drei Prämissenklassen gleichermaßen verfehlen. Es mag sein, daß eine gültige Norm übersehen, eine ungültige Norm herangezogen wird. Dem Richter können auch Fehlinterpretationen gültiger Normen unterlaufen. Und schließlich ist es möglich, daß er zwar die Klippen der Rechtsfrage umschifft, d.h. die einschlägigen gültigen Normen vollständig heranzieht und die in ihnen enthaltenen Begriffe nach den Regeln der Kunst auf die Sachverhaltsbeschreibung hin entfaltet, aber dennoch falsch entscheidet, weil die von ihm zugrunde gelegte Sachverhaltsdarstellung nicht korrekt ist. Kernbereich der Regeln korrekter Sachverhaltsrekonstruktionen ist das Beweisrecht. Ihm kommt in der praktischen Entscheidungstätigkeit jedenfalls der erstinstanzlichen Gerichte häufig eine überragende Bedeutung zu. Diese Bedeutung schlägt sich aber weder in der Ausbildung des juristischen Nachwuchses noch in der wissenschaftlichen Durchdringung des Problemfeldes nieder. Es fehlt nicht nur an der intensiven Kontaktpflege zu solchen Realwissenschaften, die sachlich/inhaltlich etwas zur Beantwortung der Tatfrage beisteuern können, wie etwa die Aussagepsychologie zur Beurteilung des Realitätsgehalts von Zeugenaussagen oder die Biologie zur Frage einer umstrittenen Abstammung. Es müßte auch und vornehmlich eine metatheoretisch/formale Analyse der Sachverhaltsrekonstruktion geleistet werden, welche vom Stande der modernen Wissenschaftstheorie aus Möglichkeiten und Strukturen der Bestätigung von Sachverhaltsannahmen aufschlüsselt und so den Juristen in die Lage versetzt, im interdisziplinären Gespräch die Zusammenhänge zu klären, die ihm bei der Beantwortung der aus den verschiedensten Bereichen stammenden Sachverhaltsfragen helfen können. Die hier herrschenden Mängel lassen sich in einem Kommentar schon aus Raumgründen schwerlich ausgleichen. Das sollte jedoch nicht den Versuch hindern, wenigstens die Grundregeln und -strukturen der Sachverhaltsrekonstruktionen zu skizzieren (§ 286 RN 2 ff.).


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