Beweisrecht
Alternativkommentar ZPO
§ 404 Randnummer 3

Der Text der Vorschrift legt es nahe, daß nur natürliche Personen zu Sachverständigen bestellt werden können. Wollte man es bei dieser Auslegung belassen, brächte man sich jedoch in unnötige praktische Schwierigkeiten. Zum einen bestimmen gesetzliche Regelungen außerhalb der ZPO ausdrücklich, daß öffentliche Behörden als solche Gutachten erstatten können. Das gilt zum Beispiel für das Bundespatentamt, die Gutachterausschüsse für Grundstücksbewertungen, die Industrie- und Handelskammern und die Handwerkskammern. Auch darüber hinaus wird allgemein angenommen, daß öffentliche Fachbehörden als solche mit der Begutachtung beauftragt werden können (gesetzlich geregelt in §§ 83 Abs. 3, 92 StPO). Zum anderen sollte man nicht die Augen davor verschließen, daß in vielen Bereichen die Sachverständigentätigkeit zum Beruf geworden ist und die zu beantwortenden Fragen zum Teil derart komplex geworden sind, daß sich notgedrungen auch außerhalb öffentlicher Behörden um den Sachverständigen als natürliche Person Organisationseinheiten gebildet haben, deren Leistungen insgesamt in das zu erstellende Gutachten einfließen und den Charakter bloßer Hilfsleistungen längst verloren haben. Warum sollte man hier nicht die Frage nach Sachkunde, Neutralität und Unabhängigkeit auf die Organisation beziehen und diese mit der Erstellung des Gutachtens beauftragen können? Das gilt etwa für die technischen Überwachungsvereine (TÜV und DEKRA), Meinungsforschungsinstitute, anerkannte wissenschaftliche Einrichtungen, Privatkliniken. Die jeweils angerufene Institution mag dann innerorganisatorisch entscheiden, welches ihrer Mitglieder die nachgefragte Arbeit leistet und dies im Gutachten selbst offenbaren (so auch Zöller/Stephan RN 1 gegen StJ-Schumann/Leipold Anm. I 8; Jessnitzer S. 121 f.). Mit der Offenlegung schafft man zugleich die Grundlage für die eventuell erforderlich werdende Ladung zur Anhörung nicht des nur unterschreibenden Institutsleiters, sondern des wirklich in der fraglichen Sache tätigen Sachkundigen. Es gibt kein ernsthaftes Hindernis für die Übertragung der gegenüber Behörden entwickelten Grundsätze auf vergleichbare Privatorganisationen. Die herrschende Meinung sieht dagegen in der Beauftragung einer privatrechtlichen Organisation einen Verfahrensverstoß (vgl. Müller S. 86 f.) und muß sich über dessen Heilbarkeit (§ 295) die Tür zum vernünftigen Weg öffnen (vgl. Jessnitzer S. 122).


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Gesetzestext