Beweisrecht
Alternativkommentar ZPO
§§ 391-393 Randnummer 3

Notwendigkeit der Beeidigung: Hier ist der BGH indessen sowohl im konkreten Fall als auch bei der Formulierung der Grundsatzregel über das Ziel hinausgeschossen. Daß die Beeidigung regelmäßig geboten sei, wenn die Aussage für die Entscheidung erheblich sei, gegen die Glaubwürdigkeit des Zeugen aber gewisse Bedenken bestünden, findet weder Rückhalt im Gesetzestext, noch berücksichtigt es die differenzierten Entwicklungen der Aussagepsychologie in ausreichendem Maße (vgl. vor § 373 RN 11 ff., 44 ff.). Die Wahrheit einer Aussage kann durch Irrtum (unbewußte Verfälschungen) und Lüge (bewußte Verfälschungen) bedroht sein. Über den Eid läßt sich allenfalls auf bewußte Verfälschungen einwirken. Nur wenn das Gericht Anhaltspunkte für bewußte Verfälschungen hat oder wenn es nicht sicher ist, bewußte Verfälschungen auschließen zu können, kommt überhaupt ein Eid zur Herbeiführung einer wahrheitsgemäßen Aussage in Betracht. Aber auch dann darf das Gericht noch von einer Beeidigung Abstand nehmen, wenn es nach seiner Einschätzung der Persönlichkeit des Zeugen die Überzeugung gewinnt, die Eidesleistung werde so oder so keinen Einfluß auf den Inhalt der Aussage haben. Es muß schließlich von einer Beeidigung absehen, wenn die Aussage ohnehin nicht von Bedeutung ist, weil sie einen rechtlich unerheblichen Punkt betrifft oder die durch andere Beweise gestärkte Überzeugung des Gerichts nicht zu erschüttern vermag. Das „oder" in § 391 ist deshalb als „und" zu lesen. Alles in allem ist mehr auf eine sorgfältige Durchführung der Vernehmung mit ihren vielfältigen Belehrungsmöglichkeiten und auf die Beobachtung der Glaubwürdigkeitskriterien der Aussagepsychologie zu achten. Auf die Beeidigung könnte dann ganz verzichtet werden (vgl. auch Bürkle Richterliche Alltagstheorien im Bereich des Zivilrechts, 1984, S. 136 f.).


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Gesetzestext