Schadensrecht
Alternativkommentar BGB
vor § 249 Randnummer 64

5) Schwierigkeiten bereiten die Schadensentwicklungen, die zwar durch eine Rechtsgutsverletzung ausgelöst, in ihrem Ausmaß allerdings Folge einer besonderen Veranlagung oder Krankheit des Opfers sind. Soll der Verletzer hier nur für den normalen Schaden haften, weil das besondere Ausmaß eine Realisierung des allgemeinen Lebensrisikos des besonders Veranlagten ist?. Die Rechtsprechung hat dies seit jeher verneint und den Verletzer für alle Folgen haften lassen, denn er habe ,,kein Recht darauf, so gestellt zu werden, als ob er einen völlig gesunden Menschen verletzt habe" (RG 169, 117, 120). Dies gilt auch für die je verschiedene Vermögensorganisation, die der Verletzer antrifft. Das wohlsituierte und gutbeschäftigte Unfallopfer belastet ihn mit einem höheren Schadensersatzanspruch wegen entgangenen Gewinns als der in seiner Arbeitsfähigkeit betroffene ungelernte Gelegenheitsarbeiter. Wer einen gewerblich genutzten LKW beschädigt, muß auch für die schädlichen Folgen einstehen, die der besonderen finanziellen Situation des Geschädigten entspringen, der die Reparaturkosten nicht zahlen kann, keinen Kredit bekommt, den LKW deshalb beim Reparaturunternehmer belassen muß und so schließlich zur Aufgabe seines Unternehmens gezwungen ist (BGH VersR 1963, 1161). Was für die individuell geprägten Vermögenslagen recht ist, sollte für unterschiedliche physische und psychische Dispositionen billig sein. Lange (JZ 1976, 207) sieht Schwierigkeiten für die Durchführung dieser Regel, wenn es dem Opfer an einem Minimum an physischer oder psychischer Widerstandskraft gebricht: Ein harmloser Hund bellt eine nervenschwache Frau an. Diese stürzt und verletzt sich schwer (RG JW 1908, 41). Ein normales Fluggeräusch führt dazu, daß Muttertiere von Silberfüchsen verwerfen oder ihre Welpen auffressen (RG 159, 34). Ein Verkäufer tritt seinem Kunden, der an schweren arteriellen Störungen leidet, auf den Fuß. Das macht eine Beinamputation am Oberschenkel erforderlich (OLG Karlsruhe VersR 1966, 741). Keiner dieser Fälle betrifft die im Rahmen der Haftungsausfüllung zu beantwortende Frage nach der Zurechnung von Folgeschäden. Die ersten beiden werfen das Problem der Zurechnung der Erstverletzung zu der Gefahr auf, um derentwillen die Haftung des Tierhalters bzw. der Luftgesellschaft begründet worden ist. Es spricht vieles dafür, schon die Haftungsbegründung zu verneinen, weil die Rechtsgutsverletzungen nicht auf dem spezifischen haftungsbewehrten Gefährdungspotential beruhen. Auch der dritte Fall hat seinen eigentlichen Problemschwerpunkt im Rahmen der Haftungsbegründung. Es geht darum, ob die Erstverletzung sorgfaltswidrig war. Im allgemeinen Gedränge muß man es hinnehmen, daß ein anderer einem auf den Fuß tritt. Sollte die Sorgfaltswidrigkeit zu bejahen sein, ist auch der Schaden zu ersetzen, der auf einer ungewöhnlichen Disposition des Verletzten beruht. Für eine Grenzziehung nach dem Minimum an physischer oder psychischer Widerstandskraft besteht bei der Haftungsausfüllung kein Anlaß.


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