Schadensrecht
Alternativkommentar BGB
§ 254 Randnummer 15

Letztlich vermag keines der vorgestellten Lösungsangebote zu überzeugen, weil sie alle die ausdrückliche Auseinandersetzung mit dem alternativen Regelungsmodell vermissen lassen: der Abwicklung des Konflikts nach den Gesamtschuldregeln. Am Konflikt sind ein Geschädigter und mehrere Schädiger beteiligt. Prinzipiell bestehen zwei Abwicklungsmöglichkeiten mit identischer Letztverteilung: erstens die Schädiger von vornherein schon gegenüber dem Geschädigten nur nach Maßgabe ihres Schädigungsbeitrags haften zu lassen (Teilschuldner) oder zweitens die Schädiger als Gesamtschuldner dem Schädiger gegenüber auf das Ganze (§ 421) zu verpflichten und die Anteile im Regreß untereinander bestimmen zu lassen (§ 426). Die anspruchkürzende Zurechnung des Verschuldens eines Bewahrungsgehilfen führt zu einer (partiellen) Teilschuld. Eine Begründung für die Versagung des Gesamtschuldprivilegs ist damit noch nicht gegeben. Immerhin ordnet § 840 für das Zusammentreffen deliktischer Haftungen die Gesamtschuld ausdrücklich an. Warum dies für das Zusammentreffen von oder mit vertraglichen Schadensersatzansprüchen anders sein sollte, ist nicht ohne weiteres einleuchtend, dienen doch sowohl die verletzten Pflichten als auch die resultierenden Ersatzansprüche alle dem Schutz ein- und desselben Interesses (Schutzzweckgesamtschuld i.S. Ehmanns; vgl. § 421 Rz. 5). Eine Versagung des Gesamtschuldprivilegs sollte deshalb nur in besonders begründeten Ausnahmefällen in Betracht kommen. Die arbeitsteilige Vergabe von Pflichten (etwa vom Bauherrn an Architekten, Statiker, Bauunternehmer) reicht allein nicht aus, um dem Bauherrn das Verschulden des einen gegenüber seinem Ersatzanspruch an einen anderen anzurechnen (vgl. vor §§ 633 ff. Rz 8 ff.). Angerechnet werden sollte hier nur ein mögliches Auswahl- oder Überwachungsverschulden des Auftraggebers selbst. Darüber hinaus ist eine Anrechnung von Drittverschulden nur dann vertretbar, wenn der Dritte im Rahmen einer vom Geschädigten unterhaltenen Organisation tätig ist und von anderen Leistungen an die Organisationseinheit erbracht werden, die sich u. a. deshalb schädigend auswirken, weil die Organisation nicht die Vorkehrungen zur Schadensverhütung getroffen hat, die dem Geschädigten auch als Einzelperson obgelegen hätten (z. B. Untersuchungs- und Rügepflichten). Die Rechtsprechung zum Bewahrungsgehilfen (BGH 3, 46; BGH 36, 329) sprengt ebenso wie die (oben Rz. 14) angeführte Literatur die skizzierten Ausnahmebereiche und ist deshalb abzulehnen. Für die Rechtsprechung oder besser dafür, mit Esser/Schmidt (§ 35 III 1) die Schaffung eines Bewahrungsrisikos als Anrechnungsfaktor anzuerkennen, sprechen indessen Vorschriften aus speziellen Haftpflichtgesetzen (§ 4 HaftpflichtG, § 9 StVG, § 34 LuftVG, § 27 AtomG), nach denen sich der Geschädigte die Schädigungsbeiträge derer anrechnen lassen muß, die die tatsächliche Gewalt über die beschädigte Sache ausüben. Der 1967 veröffentlichte Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz sieht die Übernahme einer vergleichbaren Regelung in das BGB vor. Für die Annahme einer Gesamtschuld zwischen einem die Aufsichtspflicht verletzenden Elternteil und einem das Kind verletzenden Autofahrer ist jetzt erstmals auch der BGH eingetreten (BGH 73, 190).Die Entscheidung liegt auf der hier entwickelten Linie.


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Gesetzestext