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Die Regelung bei der Gattungsschuld

Da die Schuldbefreiung bei der Gattungsschuld nach der Grundregel erst dann eintritt, wenn eine Leistung aus der Gattung nicht (mehr) möglich ist, der Schuldner damit die Garantie für seine Fähigkeit zur Beschaffung dieses Gegenstandes auf dem Markt und damit auch das Beschaffungsrisiko übernimmt, ist der Schuldner naturgemäß bestrebt, diesen Zustand möglichst schnell zu beenden und seine Verpflichtung durch Auswahl eines individuell bestimmten Gegenstandes auf diesen Gegenstand zu beschränken. Mit dieser Auswahl leitet der Schuldner einen Vorgang ein, der dazu führt, dass sich seine Gattungsschuld kraft Gesetzes in eine Stückschuld verwandelt. Dieser Vorgang wird "Konkretisierung" der Gattungsschuld genannt. Die Voraussetzungen der Konkretisierung sind in § 243 BGB geregelt. Danach setzt die Konkretisierung zunächst voraus, dass die vom Schuldner aus der Gattung ausgewählten Sachen gemäß § 243 Abs. 1 BGB von "mittlerer Art und Güte" sind. Ist dies der Fall, so ist für die Konkretisierung nach § 243 Abs. 2 BGB nur noch erforderlich, dass der Schuldner "das seinerseits Erforderliche getan hat". Was im jeweiligen Fall "das Erforderliche" ist, bestimmt sich nach der Art der Schuld. Dabei kommen als Schuldarten Hol-, Bring- und Schickschuld in Betracht.

Bei der Bringschuld hat der Schuldner das seinerseits Erforderliche getan, wenn er die Ware aus der Gattung ausgesondert und sie dem Gläubiger an seinem Wohnort bzw. dem Sitz seiner gewerblichen Niederlassung termingerecht in einer Annahmeverzug begründenden Weise angeboten hat. Bei der Schickschuld dagegen reicht es für die Konkretisierung aus, wenn der Schuldner die Ware aussondert und sie am Leistungsort ordnungsgemäß verpackt an eine sorgfältig ausgewählte Transportperson übergibt. Was der Schuldner bei der Holschuld tun muss, um eine Konkretisierung herbeizuführen, ist äußerst umstritten. Die geringsten Anforderungen an den Schuldner stellt die Auffassung, die lediglich verlangt, dass der Schuldner den Gegenstand aussondert und für den Gläubiger bereitstellt. Demgegenüber stellt die Ansicht, die vom Schuldner verlangt, dass er die Sache aussondert, für den Gläubiger bereitstellt und ihm über die Aussonderung eine Mitteilung macht (Esser/Schmidt, Schuldrecht Band I, Allgemeiner Teil, § 13 I 2 c), die höchsten Anforderungen an den Schuldner. Am ausgewogensten im Hinblick auf die gegenläufigen Interessen der Parteien erscheint schließlich die vermittelnde Ansicht, die vom Schuldner neben Aussonderung und Bereitstellung verlangt, dass er den Gläubiger zur Abholung der Ware auffordert (Musielak, Grundkurs BGB, Rdnr. 194; Medicus, Schuldrecht I, Allgemeiner Teil, § 19 IV 2 (Rdnr. 183)). Diese Meinung hat insbesondere den Vorteil, dass sie das ungerechte Ergebnis vermeidet, dass die Konkretisierung nur daran scheitert, dass der juristisch nicht versierte Schuldner dem Gläubiger gegenüber nicht "die richtigen Worte findet".

Hat der Schuldner die Gattungsschuld durch Konkretisierung in eine Stückschuld umgewandelt, dann wird der Schuldner beim Untergang des Gegenstandes gemäß § 275 Abs. 1 BGB von seiner Leistungspflicht frei. Die Konkretisierung führt demnach zur Verlagerung der Leistungsgefahr vom Schuldner auf den Gläubiger.

Auch bei Gattungsschulden können persönliche Leistungshindernisse, die nicht nur auf einem Geldmangel des Schuldners beruhen, zur Anwendung des § 275 Abs. 1 BGB führen. Beispiele für solche Leistungshindernisse sind plötzliche Erkrankungen, Vertreibungen aus der Heimat, Freiheitsentziehungen oder vergleichbar einschneidende Ereignisse auf Seiten des Schuldners (Emmerich, Das Recht der Leistungsstörungen, § 3 IV 4).

Es ist auch anerkannt, dass die Haftung des Schuldners für Gattungsschulden dann entfallen kann, wenn infolge nicht vorhersehbarer Umstände so erhebliche Leistungshindernisse entstanden sind, dass dem Schuldner die Beschaffung nicht mehr zugemutet werden kann. Obgleich darüber Einigkeit besteht, wird über die richtige Begründung dieses Ergebnisses heftig gestritten. Während das Reichsgericht in solchen Fällen von wirtschaftlicher Unmöglichkeit ausgegangen ist, stellt der BGH dagegen auf die Regeln über den Wegfall der Geschäftsgrundlage ab (BGH NJW 1994, 515, 516). Mit der Schuldrechtsmodernisierung sollte der Fall im Rahmen des § 275 Abs. 2 BGB gelöst werden.

Ein anschauliches Beispiel für diese Problematik stellt der vom BGH 1994 entschiedene Fall "Porsche 959" dar (BGH NJW 1994, 515 f.), dem folgender, für die Zwecke der Vorlesung vereinfachter, Sachverhalt zugrunde lag:

Der als Wiederverkäufer von Kraftfahrzeugen tätige A steht seit längerer Zeit in Geschäftsbeziehungen zu dem Porsche-Vertragshändler B. Als B von der Porsche AG erfährt, es sei beabsichtigt, nach entsprechender Entwicklungsdauer ein mit einer Vielzahl technischer Neuerungen ausgestattetes Porsche-Modell als Serienmodell in begrenzter Stückzahl auf den Markt zu bringen, unterrichtet er unter anderem den A hiervon. Schließlich kommt es zum Vertragsschluss zwischen A und B über einen Porsche neuen Typs zu dem "am Tage der Lieferung gültigen Listenpreis nach Liefermöglichkeit der Porsche AG".

Nach dem Abschluss des Kaufvertrages zwischen A und B entscheidet sich die Porsche AG kurzfristig, den Verkauf des als "Porsche 959" bezeichneten Modells, von dem nur 200 Fahrzeuge hergestellt worden sind, nicht über ihr Händlernetz, sondern unter eigener Auswahl der Interessenten direkt ab Werk durchzuführen. Daraufhin teilt B dem A mit, dass er den Kaufvertrag aus diesem Grunde nicht erfüllen könne und dass dem A keine Ansprüche gegen ihn zustehen, da er das Verhalten der Porsche-AG nicht zu vertreten habe. A ist demgegenüber der Ansicht, dass er einen Anspruch auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung gegen B habe und klagt daher gegen ihn auf Zahlung.

Als Anspruchsgrundlage für das Begehren des A kommt § 281 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 BGB in Betracht.

Ein wirksamer Kaufvertrag liegt vor. Den kann man auch über Güter schließen, die erst noch hergestellt werden müssen. Allerdings könnte der Anspruch von vorneherein deshalb ausgeschlossen sein, weil A und B in ihrem Kaufvertrag die Haftung des B für nachträglich auftretende Lieferschwierigkeiten ausgeschlossen haben. Dies könnte man ebenfalls aus dem Passus "nach Lieferungsmöglichkeit der Porsche AG" herzuleiten versuchen. Einer solchen Auslegung, nach der diese Klausel auch den Fall der Verwirklichung des Beschaffungsrisikos erfasst, steht jedoch, wie der BGH mit Recht betont, sowohl der Wortlaut wie auch der Sinn der Vertragsbestimmung entgegen, die dem B zwar das allein in der Sphäre der Porsche AG liegende Produktionsrisiko, nicht aber das Beschaffungsrisiko abnehmen soll. 

Schließlich könnte der B jedoch wegen § 275 Abs. 1 BGB von seiner Primärleistungspflicht und wegen § 280 Abs. 1 Satz 2 von der sekundären Schadensersatzpflicht befreit worden sein.

Allerdings ist anerkannt, dass die Haftung des Schuldners für Gattungsschulden dann entfallen kann, wenn infolge nicht vorhersehbarer Umstände so erhebliche Leistungshindernisse entstanden sind, dass dem Schuldner die Beschaffung nicht mehr zugemutet werden kann. Der BGH leitet dieses Ergebnis aus der Anwendung der Regeln über den Wegfall der Geschäftsgrundlage her (BGH NJW 1994, 515, 516). Demnach ist zu fragen, ob die Entscheidung der Porsche AG, B nicht zu beliefern, dazu führt, dass man B die Beschaffung eines Porsche 959 zur Erfüllung seiner vertraglichen Verpflichtungen nicht mehr zumuten kann. Dafür spricht in der Tat, dass B das Verhalten der Porsche AG nicht vorhersehen konnte und dass er als in die Absatzorganisation der Porsche AG eingebundener Händler nach dem Willen der Parteien kein hohes, besonders vergütetes Beschaffungsrisiko übernommen hat.

Andererseits hat B jedoch die Entscheidung der Porsche AG widerspruchslos hingenommen und dem A gegenüber als unabänderlich dargestellt, obgleich wie der BGH es formuliert "nach der Lebenserfahrung davon auszugehen ist, dass" - bei entsprechenden Bemühungen des B - "die Porsche AG als höchst zuverlässiger Vertragspartner auf B und die von ihm eingegangenen Verpflichtungen Rücksicht genommen hätte, ganz abgesehen davon, dass die Porsche AG möglicherweise auf Grund des Direkthändlervertrages mit B zu entsprechender Rücksichtnahme verpflichtet gewesen wäre". Es war aber für B als in die Absatzorganisation eingebundener Händler jedenfalls nicht von vorneherein aussichtslos und unzumutbar, auf die Porsche AG einzuwirken und etwa durch Androhung von im Hinblick auf das Verhalten der Porsche AG durchaus nahe liegenden Regressansprüchen zu versuchen, einen Porsche 959 zu beschaffen (so auch der BGH, in: NJW 1994, 515, 516). Daher ist die Verpflichtung des B nicht nach § 275 Abs. 1 BGB bzw. nach den Regeln über den Wegfall der Geschäftsgrundlage entfallen. Die übrigen Voraussetzungen des § 281 BGB sind im Hinblick auf die endgültige und beharrliche Leistungsverweigerung des B gegeben.  

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© Prof. Dr. Dr. h.c. Helmut Rüßmann. 
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